«Wir waren natürlich die Nummer eins!»
von Bettina Hürlimann und Jossi Schütt
Ein kalter Nachmittag im Spätmärz, die Sonne scheint, aber Wolken ziehen immer wieder vorbei. Eigentlich hätten wir Sebastian Ramspeck, Ex-Brüssel-Korrespondent für SRF und ehemaliger HoPro-Schüler, für unser Interview gerne in die hauseigene Mediothek eingeladen. Das Schulhaus allerdings ist schon seit zwei Wochen Corona-bedingt zu. Um doch etwas in geistiger Nähe zur HoPro zu sein, führen wir das Gespräch im Park direkt hinter dem Schulhaus durch. Sebastian Ramspeck, der Anfang März in die Schweiz zurückgekehrt ist und bei SRF in Zürich als internationaler Korrespondent und Moderator arbeiten wird, hat zu seinen HoPro-Zeiten selbst eine Schülerzeitung betrieben, «Spartakus». Gleich zu Beginn fragen wir:
Gibt es noch Kopien davon?
Sebastian Ramspeck: Ja, klar. Ich habe sogar einige mitgenommen.
Toll!
Ich weiss aber nicht mehr, ob das jetzt die coolen oder die weniger coolen Ausgaben sind. Ich habe einfach zufälligerweise beim Umziehen ein paar gefunden. Für euch müssen diese aber so alt aussehen...
Natürlich indem wir die zwei Meter Abstand einhalten, schauen wir die alten Exemplare durch. Gleich beim Titelblatt stolpern wir über ein Bild eines älteren Mannes mit forscher Nase. Der Titel lautet: «Wer aus Liebesbedürfnis politisiert, ist fehl am Platz»

Der «Spartakus» mit Alfred Gilgen.
Das zum Beispiel ist der damalige Regierungsrat, der recht berühmt gewesen ist in den 80er Jahren: Alfred Gilgen. Mit ihm haben wir ein Interview gemacht. Irgendwie hat es ein damals ein rechtes Puff gegeben bei der Autorisierung... Wir fanden den Titel so cool und wir waren dermassen stolz darauf, dass wir fanden, er müsse ihn doch auch sehr lässig finden. Er hat sich aber schwer beklagt und behauptete, er habe beim Autorisieren des Interviews diese Aussage herausgestrichen. Das haben wir aber wirklich nicht gesehen! (lacht)
Wir blättern weiter.
Ich muss diese Zeitung selber einmal wieder lesen...
Plötzlich stossen wir auf einen Text:
Themen wie heute! «Neger», Rassismus...
Dann ein Bild, das nur die untere Gesichtshälfte von jemandem zeigt. Er hat einen grossen Joint im Mund.
Ah... Jetzt erzähle ich euch eine Geschichte, die ich noch nie öffentlich erzählt habe... Die darf ich jetzt schon erzählen, nach so vielen Jahren ist das verjährt. Wisst Ihr, wer das ist?
Nein...
Das ist der Sohn von Moritz Leuenberger. Wir machten eine Geschichte übers Kiffen, für die wir ein Fotomodell brauchten, das sich für die Zeitung mit einem Joint im Mund präsentieren sollte. Irgendjemand hat uns dieses Foto gebracht und gesagt, das sei dann übrigens der Sohn eines bekannten Politikers. Moritz Leuenberger war damals Regierungsrat des Kantons Zürich. Das Fotomodell beklagte sich dann, als die Zeitung erschienen war, darüber, dass man anhand des Fotos doch noch erkennen könne, wer es ist. Das Witzigste war aber: Meine Eltern hatten eine Freundin, die eine Möbelfirma besass. Sie fand es so toll, dass ich diese Zeitung machte, und liess mich bei einer Feier einige Ausgaben auf ihre Möbel legen. Und wer war der Ehrengast?
Oh nein...
Moritz Leuenberger... Ich dachte: Oh shit! Er hat dann die Zeitung angeschaut, und ich stand daneben und beobachtete ihn. Die ganze Zeit dachte ich nur: Oh nein! Aber ich glaube, er hat es nicht gemerkt...
Hast du die Zeitung allein geführt?
Nein, nein. Es gibt lauter prominente ehemalige Kollegen von mir.
Wer arbeitete sonst noch mit?
Der heutige Sozialvorsteher der Stadt Zürich, Raphael Golta. Er hat die Zeitung mit mir zusammen gegründet. Roman Fillinger, heute Osteuropa-Korrespondent für SRF, hat mitgearbeitet, genauso wie Mathias Kempf, der heute IKRK-Chef in Aden im Jemen ist.
Wahnsinn...
Und es gibt noch viele mehr, ich muss nur ein wenig nachdenken... Ah – Matthias Wiesmann, der ehemalige Zürcher Gemeinderatspräsident. Es ist übrigens kein Zufall, dass ich noch viele gute Freunde aus dieser Zeit habe. Es schweisst einen schon zusammen, wenn man während dreier Jahre etwas so Verrücktes macht.
Während wir den «Spartakus» weiter durchblättern, stossen wir plötzlich auf einen altbekannten Namen...
Michael Würsten, kennst du den noch?
Nein, wer ist das?
Der ist heute Chemielehrer an der HoPro.
Ah ja?
Heute heisst er Liebich mit Nachnamen.
Lustig... Was hat er geschrieben?
«Die Krankheit liegt offensichtlich tiefer. Eine repräsentative Umfrage zum Thema Cannabis.»
(Lacht) Konfrontiert ihn einmal damit! Übrigens, die Präsidentin unserer Schülerorganisation damals war Adriana Bodmer, die später Marcel Ospel geheiratet hat, den UBS-Verwaltungsratspräsidenten. Sie hat nach der Schule ein Finanzstartup gegründet und war schon sehr jung sehr erfolgreich. Mit Ende zwanzig hatte sie schon eine profitable Firma, dann hat sie den Ospel kennengelernt, und er hat sie geheiratet. Das gab eine riesige Geschichte, denn er war ungefähr fünfundzwanzig Jahre älter als sie. In der Finanzkrise ist er schliesslich in die Wüste gejagt worden und sie ist mit ihm dann quasi in Quarantäne verschwunden. Als Journalist habe ich ihr einmal eine E-Mail geschrieben, ob sie mir nicht ein Interview mit ihrem Mann vermitteln könne. Sie hat aber nie darauf geantwortet (lacht).
Es ist sehr lustig, Ihr werdet sehen: In zwanzig Jahren werden alle eure Mitschüler überall auftauchen.

Michael Würstens «Repräsentativbefragung zum Thema Cannabis»…
Da sind wir sehr gespannt, wer wo auftaucht. Wie oft sind eure Ausgaben erschienen?
Ich glaube, das war vierteljährlich. Wir nahmen das Ganze damals natürlich sehr ernst, auch uns selber haben wir extrem ernst genommen. Wir haben extrem wichtig getan. Und es war extrem lässig. Es war eine tolle Zeit, ein gutes Team mit vielen interessanten Leuten. Wir waren natürlich sehr stolz, dass wir eine Schülerzeitung für alle Gymnasien der Stadt Zürich gemacht haben. In Basel hat es noch eine andere grosse Schülerzeitung gegeben. Der Chefredaktor dort war Baschi Dürr, der heute Regierungsrat in Basel-Stadt ist. Er hat immer mit uns konkurriert, wer die grössere Schülerzeitung in der Schweiz macht. Wir aus Zürich – wir waren natürlich die Nummer eins!
Habt Ihr dann auch so richtig seriöse Redaktionssitzungen gemacht?
Ja, ja. Wir hatten viel Freude an Organisation, wir nahmen das sehr ernst. Oft haben wir unsere ganzen Ferien geopfert für die Zeitung. Sehr früh haben wir einen Apple Mac Plus gekauft, als noch niemand einen PC hatte. Der konnte viel weniger als das billigste Handy heute. Das Layouten am Computer stand damals wirklich noch in den Kinderschuhen, kein Mensch hat das so gemacht. Wir mussten das alles irgendwie selber erlernen. Raphael Golta aber war sehr gut mit Computern. Er hat mir auch zum ersten Mal das «Internet» gezeigt. Ich mag mich noch erinnern, kein Mensch ging auf das «Internet»... Das war damals the big thing!
Noch lustig ist, dass bei einer Schülerzeitung gewisse Sachen sehr ähnlich sind, wie es denn nachher ist, wenn man «richtige Medien» macht. Die Frage zum Beispiel, was der richtige Mix ist. Oder was die Leute eigentlich interessiert. Es war eine gute Schulung für alle, die später etwas mit Medien gemacht haben.
Wir blättern weiter und lesen einen kleinen Artikel über den Rektorenwechsel 1991 stolpern wir wieder über den Namen Adriana Bodmer.
Ah, hier haben wir jetzt die Adriana Bodmer.
Hat sie etwas geschrieben?
Nein... Sie gab als SOV-Präsidentin einen Kommentar ab zur Ablösung des damaligen Rektors: «Auch wenn wir seine Entscheidungen als streng erachteten, so empfanden wir sie doch immer als gerecht.»
So spricht eine künftige Politikerin... CVP oder so... (lacht)
Welche heutigen Lehrer gab es schon zu deiner Zeit?
Herr Zollinger war damals mein Geschichtslehrer.
Heute ist er der Rektor.
Lustig, ja... Er war damals ein junger Lehrer – mit einer grossen Brille... Ich habe nie recht gewusst, wo er politisch steht. Das hat mich aber immer interessiert...
Hmm... Tatsächlich eine schwierige Frage...
Gibt es noch sonst irgendwelche Lehrer von mir?
Vielleicht Herr Meister?
Ja! Er ist immer noch hier?
Ja, er wird im Sommer pensioniert...
Ah ja? Unglaublich... Ja, das war cool mit Herrn Meister. Er hat mich und Raphael Golta nach der Matura noch einmal zum Nachtessen eingeladen. Ich glaube, er hatte recht Freude an uns. Sagt ihm unbedingt einen Gruss. Ich habe gute Erinnerungen. Mit ihm haben wir uns immer gestritten. Es war gerade die Zeit der GSoA-Initiative [zur Abschaffung der Armee, Anm. d. Red.] – er war total für die Armee und wir natürlich in diesem Alter alle dagegen. Die Diskussionen mit Herrn Meister waren immer riesige Parlamentsdebatten. Jeder hatte etwas zu sagen.
Vielleicht kennen Sie noch Frau Vincent, sie war Französischlehrerin und auch recht lange an der Schule?
Hmm... Das kann sein... Franzlehrer hatten wir jedes halbe Jahr einen neuen... Weil immer wieder einer weggemobbt worden ist von der Schule oder so... Wir haben damals auch recht viel Seich gemacht. Ihr seid da wahrscheinlich ein bisschen artiger. Oder seid Ihr frech zu den Lehrern?
Nein, eigentlich nicht so.
Es ist unglaublich, wie frech wir gewesen sind. Es ist wirklich richtig schlimm. Ich habe da leider zu den nicht so angenehmen gehört...
Zum Beispiel hatten wir damals einen legendären Geografielehrer, wirklich alle kannten ihn. Herr Dürst. Schon damals sprach er sehr viel über Klimawandel und Umweltschutz, und er war ein Moralist. Er wollte uns überzeugen, dass die grosse Herausforderung der Zukunft die Ökologie sei, die damals noch nicht so im Vordergrund gestanden ist. Er war altmodisch und streng, aber jeweils vor den Ferien schaute er mit uns einen Film. Das waren immer so ganz komische, billige Komödien – und er ist dann dabei jeweils eingeschlafen (lacht). Das weiss ich noch... Wir sind dann aus dem Zimmer geschlichen. Während wir die Tür zumachten, haben wir uns dann vorgestellt, wie er aufwacht beim nächsten Gag, bei dem jemandem eine Torte ins Gesicht geschmissen wird. (lacht)
Wir waren aber schon sehr interessiert. Wir haben uns stark engagiert; sei dies mit der Zeitung, aber auch politisch. Trotzdem ich denke immer – wir sind dermassen frech gewesen... Ich glaube, das ist heute nicht mehr so...
Nein, wir werden schön – wie sagt man – auf der Stange gehalten... Heute hat es sehr viele Schüler von der Goldküste. War das auch schon so bei euch?
Nein, nicht so sehr. Es hatte schon auch Goldküsten-Kinder – aber ich glaube, das war wirklich eine andere Zeit. Da sehe ich, wie uralt ich schon bin (lacht), denn vieles war anders... Ich bin zum Beispiel im Seefeld aufgewachsen, das damals kein reiches Quartier gewesen ist. Wir hatten in der Primarschule im Seefeld recht viele Kinder mit Migrationshintergrund in der Klasse – ich war einer der wenigen «Schweizer-Schweizer». Und die Goldküste war noch nicht das, was man heute darunter versteht. Viele von der Goldküste gingen eher ins Rämibühl, glaube ich.
Heute ist es eigentlich genau andersherum. Die meisten Leute aus der Stadt sind eher im Rämibühl. In unserer Klasse hat es zum Beispiel nur zwei oder drei aus der Stadt.
Ganz früher war die HoPro ja ein Mädchengymnasium und die Jungs sind ins Rämibühl. Der Pfauen war ja quasi Tinder damals. (lacht)
Ja, die alten Lehrer erzählen noch davon. Die Turnhalle war damals noch in der Mediothek und die Jungs seien dann immer schauen gekommen. So entstand der Übername «Affenkasten»...
Ja, genau. Also, ich hatte noch im Affenkasten Sport. Haben denn die Schulen einen Ruf unter den Schülern?
Oh ja...
Also an der HoPro sind die Angepassten, oder wie...?
Wir sind die Streberschule, ja.
Streber... Ja, ich sehe...
Die «Elitenschule»... Am Besuchstag für die Primarschüler und deren Eltern mussten wir Führungen machen. Die Standardfrage der Eltern war: Ist die HoPro eine Elitenschule?
Ja... Und dann habt ihr immer schön genickt, hoffentlich...
Um ganz ehrlich zu sein, glaube ich, dass von den Eltern, die wir herumgeführt haben, nicht sehr viele nachher an die HoPro sind... Herrn Baumgartner kennen Sie noch?
Den Prorektor?
Ja. Nachher war er sehr lange Rektor, dann wieder normaler Lehrer. In seinen letzten beiden Jahren war er mein Lateinlehrer.
Ah ja, klar. Als er Rektor geworden ist, haben wir ein Exklusivinterview gemacht mit ihm. Wir haben immer Exklusivinterviews gemacht (lacht). Ich glaube, der Titel war «Der richtige Mann dafür». Das lehrt man immer noch, Latein, oder?
Ja.
Oje…
Welches Profil hattest du denn?
Ich habe dummerweise Typus B gemacht, das war Englisch-Latein, was damals das Standardprofil gewesen ist. Wobei schon damals viele das D gemacht haben, also das neusprachliche Profil. Einige wenige machten noch A, das altsprachliche Profil. C war mathematisch-naturwissenschaftlich – und E gab es noch, das Wirtschaftsgymnasium. Das war gleich hier hinten. Gibt es das noch?
Ja, das Hottingen.
Dorthin sind diejenigen gegangen, die schon Anzug trugen... (lacht)

Das Fotomodell mit dem Joint…
Stimmt es, dass du so viel Zeit für die Schülerzeitung investiert hast, dass Du Probleme mit der Matur bekommen hast?
Ja, das ist so. Ich habe die Schule dann verlassen – ich hatte so schlechte Noten, dass ich mich entschloss, zu gehen. Ich habe dann einen Entscheid getroffen, der mich aus heutiger Sicht selber erstaunt. Ich ging nämlich in ein Internat und machte dort die letzten zwei Jahre Gymnasium und die Matura. Ein bisschen zu spät, aber unter dem Strich war es trotzdem eine gute Erfahrung. Ich bin nicht ein so guter Schüler gewesen. In gewissen Fächern schon sehr, in anderen aber überhaupt nicht. Ich habe einfach viel mehr Zeit und Energie für diese Zeitung aufgewandt. Sie war mein Alles während drei Jahren und die Schule hat mich irgendwie nicht so interessiert. Ich musste mich in gewissem Sinne selber ein bisschen disziplinieren. Ich möchte jetzt nicht die ganze Schuld der Schülerzeitung geben, aber sie war sicher ein wichtiger Faktor. Mit meinem Weggang ist die Schülerzeitung dann auch eingegangen.
Was waren denn das für Fächer, die dich nicht so interessiert haben?
Also, in denen ich einfach schlecht gewesen bin – sagen wir es lieber so (lacht). «Nicht so interessiert» ist eine schöne Formulierung... Ich war hauptsächlich sehr schlecht in Mathematik und in Latein. Dann aber immer wieder auch in anderen Fächern, in denen ich zu wenig gelernt hatte. Latein fand ich aber eigentlich noch cool, denn die Römer als Epoche interessierten mich, schon seit ich ein kleines Kind war. Die Sprache allerdings fand ich anstrengend (lacht)... Aber ich war in vielen anderen Fächern auch schlecht. Wahrscheinlich würdet Ihr sehr viele schlechte Noten von mir finden. Das einzige Fach, in dem ich immer super gewesen bin, ist Deutsch, bei Herrn Meister.
Was hast du nach den zwei Jahren im Internat studiert?
Wäre ich gut in Mathe gewesen, hätte ich wahrscheinlich VWL studiert. Aber das war reine Mathematik... So habe ich Internationale Beziehungen in Genf studiert. Das war toll. Wie ist es eigentlich heute: Diskutiert Ihr viel über Politik?
Hmm, nein... Eher nicht so. Im Unterricht manchmal...
Und ausserhalb?
Sehr wenig.
In unserer Klasse waren viele Leute, die unterschiedliche Meinungen hatten, und wir haben die ganze Zeit gestritten und diskutiert. Es war die Zeit des Irak-Kriegs, der GSoA-Initiative, natürlich gerade nach dem Fall der Berliner Mauer. Diese Zeit hat mich schon sehr geprägt. Nicht nur wegen der Schülerzeitung. Es war auch das Gefühl, an einem Ort zur Schule zu gehen, an dem viele Leute waren, die sich interessierten, mit denen man, im guten Sinn des Wortes, streiten konnte. Aber jetzt ist doch die Klimabewegung und Fridays for Future sehr aktuell, nicht?
Ja, schon... Aber viele sind von der Meinung ihrer Eltern beeinflusst, beziehungsweise geht gleich der Vorhang runter, wenn dieses Thema zur Sprache kommt. Ich glaube, wir sind sehr verschieden im Vergleich zu früher.
Ich hatte aber schon das Gefühl – so als alter Mann (lacht) –, dass jetzt wieder eine Zeit sei, in der mehr politisches Engagement existiert als vielleicht noch vor fünf Jahren. Ich persönlich finde, Politik ist etwas äusserst Spannendes. Wenn ich einen anderen Job hätte, dann wäre ich sicher politisch aktiv. Aber als Journalist, meine ich, sollte man das nicht machen. Das geht nicht.
Möchtet Ihr denn einmal in die Politik gehen?
Hmm... Nein, eher nicht.
Weshalb nicht?
Man ist halt schon sehr exponiert... Und zum anderen fehlt mir die Bereitschaft, mich extrem intensiv mit Dingen zu beschäftigen, die mich nur so halb interessieren.
Was ich als Journalist heutzutage schwierig finde, ist, dass die Leute sich extrem schnell auf etwas festlegen. Social Media hat das eigentlich verstärkt, nachdem man am Anfang vielleicht das Gefühl hatte, es bringe mehr Diversität und Demokratisierung. Es gibt eine extreme Verhärtung, auch unter Journalisten, zwischen den linksstehenden und den rechtsstehenden, oder auch bei der Frage des Klimawandels. Das finde ich sehr schade. Denn eine gescheite Analyse der Welt ist ja niemals nur schwarz-weiss. Bei extrem vielen Themen, ob Greta oder Trump, wird aber vieles genau so dargestellt: schwarz-weiss. Ich glaube auch nicht, dass es das widerspiegelt, was die meisten Leute denken. Wenn ich zum Beispiel Vorträge halte zum Thema Schweiz-EU, dann merke ich, dass viele Leute ein sehr differenziertes Bild haben und interessiert daran sind, unvoreingenommen zu debattieren. Ich finde, die Medien müssen aufpassen, dass sie nicht nur Bubbles abbilden, zu denen die meisten ja gar nicht dazugehören. Vielleicht schreckt das junge Leute wie euch ab, in die Politik zu gehen?
Das ist sicher ein Faktor... Dass man denkt, alles sei ein bisschen festgefahren, man könne gar nichts mehr wirklich machen.
Die ganze Berichterstattung über die Corona-Krise momentan ist auch noch recht spannend. Ich finde, die Medien waren in den ersten Wochen ziemlich unkritisch gegenüber den Entscheiden der Politik. Das ist auffällig. Weil es sind ja offensichtlich schon ein paar Fehler passiert in der Schweiz Es geht ja gar nicht darum, dass die Medien es besser wissen müssen. Niemand weiss es besser, schon gar nicht bei einem solchen Thema. Aber man soll kritisch hinterfragen..
Die Berichterstattung widerspiegelt auch nicht unbedingt, wie die Leute auf die Krise reagieren. In meinem Umfeld sind viele Leute kritisch und denken, es müsse alles irgendwie besser funktionieren. Ich habe das Gefühl, dass diese Meinung überhaupt nicht vertreten wird. Das trägt natürlich auch dazu bei, dass man sich weniger aufgehoben fühlt bei den Medien.
Wenn man Umfragen und Leserkommentare liest – ich bin halt so ein bisschen ein Medienjunkie –, hat man aber schon das Gefühl, viele Leute seien sich recht einig, dass die drastischen Massnahmen alle sehr gut sind: am besten das ganze Land stilllegen. Ich finde das bemerkenswert, weil die Schweizer ja sonst eher skeptisch sind und oft finden, man solle jetzt einmal nicht übertreiben. In diesem Fall aber... Ein gutes Zeichen ist es auf jeden Fall für den Bundesrat. Letztlich ist dieses Vertrauen in die Behörden in einer Demokratie auch eine entscheidende Frage. Ich glaube, die Bevölkerung steht hinter den Behörden.
Dürfen wir noch ein paar Fragen zu Brüssel stellen?
Ja, sicher! Ihr dürft mich alles fragen – ich habe ja im Moment sonst nichts zu tun (lacht)...
Welche Politiker waren in Echt ganz anders als in der Öffentlichkeit?
Puh – das ist eine Frage... Also, mit den richtigen Top-Shots bist du ja nicht so eng... Es ist nicht so, dass du als EU-Korrespondent in Brüssel irgendwie mit Frau Merkel privat nachtessen gehst... Mit gewissen hast du vielleicht einmal die Möglichkeit, ein Hintergrundgespräch zu machen. Aber das hält sich auch in Grenzen. Die Schweizer Bundesräte hingegen siehst du natürlich relativ häufig. Mit ihnen hast du dann immer wieder einmal ein Gespräch hinter verschlossenen Türen und lernst sie vielleicht auch ein wenig anders kennen. Aber sonst... Ich habe noch keine gute Antwort auf diese Frage – wenn sie kommt, dann sage ich sie...
Ich kam auf die Frage, weil du in einem HoPro-Jahresbericht einmal über deinen Job schriebst, dass man zum Beispiel von gewissen EU-Kommissaren jeweils wisse, in welchem Restaurant sie oft anzutreffen sind...
Aha, ja. Das ist schon so, ja. Was ich damit sagen wollte: Brüssel ist ein wenig wie Bern. Das EU-Quartier ist recht klein und es gibt keine riesige Security. Ausgenommen vielleicht die Kommissionspräsidentin laufen die EU-Kommissare einfach so herum. Du siehst sie wirklich auf der Strasse mit Einkaufstaschen. Wie ein Bundesrat also – oder fast noch extremer. Das Schöne als Korrespondent in Brüssel ist – selbst als Korrespondent aus einem Nicht-Mitgliedstaat wie der Schweiz –: Du bist recht nahe dran. Das ist zum Beispiel ganz anders als in Washington. In Brüssel sind auch alle internationalen Korrespondenten sehr nahe beieinander – es ist ein bisschen wie ein grosses Schulhaus (lacht). Es gibt zwei grosse Medienzentren, und du bist immer mit den gleichen Leuten in den Pressekonferenzen. Alle rund 1000 Korrespondenten, die es dort gibt, lernst du im Prinzip kennen. Das ist recht cool.
Welche Eigenschaften muss man haben, um ein guter Korrespondent zu sein?
Neugier... Nicht meinen, man wisse alles... Unvoreingenommenheit... Ja, unter anderem das.
Was machst du jetzt, nachdem du wieder in die Schweiz zurückgekehrt bist?
Es ist ja wirklich eine komische Zeit momentan. Ich habe mir zwei Monate Between-the-Jobs-Ferien genommen und wollte eigentlich durch China reisen (lacht). Im Januar fanden wir dann, dass das vielleicht nicht mehr eine so tolle Idee wäre. Von daher mache ich jetzt sozusagen «Home-Holidays» und geniesse Zürich. Wenigstens habe ich genug Zeit, mich in meiner neuen Wohnung einzurichten. Ich versuche, einmal pro Tag auf den Uetliberg zu laufen. Das muss ich noch machen heute Abend...
Nicht schlecht...
Ja, es ist extrem schön überall. Man kann überall herumlaufen, es war noch nie so ausgestorben. Der Ort, an dem wir jetzt unser Interview führen – ist das immer noch der Kiffer-Platz?
Ja. Auch früher war das schon so?
Ja, genau. Drogen sind heute schon noch ein Thema, oder?
Ja...
Das war bei uns auch schon so... Bei uns war natürlich die Mutprobe, einmal durch den Platzspitz zu laufen. Das war direkt auf dem Höhepunkt der offenen Drogenszene. Da konnte man dann erzählen: «Wir sind mitten durchs Rondell gelaufen, in dem Spritzen und Halbtote herumlagen.» Das war die Mutprobe für Teenager um 1990...
Mittlerweile neigt sich das Interview dem Ende zu. Ein Foto müssen wir unbedingt noch machen, und dabei natürlich wieder die zwei Meter Abstand einhalten. Mittels eines Schminketuis, dem Selbstauslöser und etwas Kreativität schaffen wir das. Es ist kurz vor fünf Uhr, wir schauen, ob noch eine Tür zur HoPro offen ist, damit wir die alten Klassenzimmer von Sebastian Ramspeck finden können. Doch nein... Wir treffen nur auf verschlossene Türen und den Hauswart des Stadelhofen, der auch nicht weiter weiss. Und so schreiten wir wieder von dannen und sprechen noch ein wenig über Lehrer von damals, die noch heute an der Schule sind. Diese Geschichten allerdings sind noch nicht verjährt und auf sie soll an dieser Stelle darum auch nicht näher eingegangen werden. In einigen Jahren allerdings, wenn die Schule wieder offen ist und es möglicherweise wieder eine neue Schülerzeitung gibt – vielleicht wird man sie dann, neben vielem anderen, lesen können.