Wie schlagen sich die Eltern im Homeoffice?
Vorwort: Seit wir nicht mehr zur Schule gehen, haben auch viele Eltern ins Homeoffice gewechselt. Wie schlagen sie sich, wenn auch Ehepartner und Kinder daheim arbeiten? Eine Direktbetroffene berichtet.
Ein Kommentar von «homeofficemom».
Meine Erfahrung mit Homeoffice und Homeschooling - Der Erfahrungsbericht einer Überlebenden nach den ersten Wochen
Homeoffice bei gleichzeitigem Social Distancing ist in der Tat ein herausfordernder Spagat… Während im Hintergrund die Kinder schreien: «Mama, Hausaufgaben fertig!! Kann ich jetzt spielen?!!!?!» oder zur Abwechslung «Mir ist soooo langweilig!!!!» oder alternativ - damit es ja nicht langweilig wird für die Homeoffice-Eltern - die Variante: «Warum muss ich jetzt schon wieder in der Küche helfen????!!!! Ich wende mich an die KESB!!!!».
Gegen Abend dann die Varianten «Ich habe HuuuungerRRRR» und «Wann gibt es endlich Znaaaaacht???» bis hin zu «DU bist heute dran, oderRRR…!?!?!!!», mit einer fetten Betonung auf dem «Du». Diese Varianten sind dabei in wiederkehrendem Stakkato mit aussergewöhnlichem Intonationsmodus aus dem Off zu hören. («Off» = einstmals gemütliches Schlafzimmer, das nun nach und nach in ein Office-to-go mutiert mit dem Effekt, dass ich sogar nachts von der Arbeit träume).
Als wäre damit den Multitasking- und Mental-Overload-Skills in morgendlicher Frühe nicht Genüge getan, hört man gleichzeitig – zunächst als kaum wahrnehmbares Hintergrundrauschen - ein leicht anschwellendes Crescendo der Klospülung, obwohl man – da eine Skype-Konferenz vorbereitend – seine Mitbewohner des Homeoffice ausdrücklich darum gebeten hatte, die Badezimmertüre doch bitte leise zu schliessen. (1x tief durchatmen bitte)
Endlich kann’s losgehen.
Doch da klingelt’s an der Tür.
Der Postbote, er bringt einen eingeschriebenen Brief. Nach dem Empfang der Post die Treppe hochsteigend, gleichzeitig die seit Wochen vernachlässigten Yogaübungen im Kopf durchexerzierend (Pause muss sein! Man denke da nur an die zahlreichen Achtsamkeitstrainings des eigenen Weiterbildungsinstituts…!), legt man den Brief schnell auf die Ablage und eilt zurück zum Laptop, damit man nun doch endlich, endlich starten kann.
Doch da klingelt’s schon wieder.
Für einen kurzen Moment wähnt man eine leichte Wahrnehmungsstörung die Ursache. Oder ist es gar Tinnitus (verursacht durch nicht nachvollziehbaren Stress? Tss…tss…das sollte doch nicht sein). Man lauscht ins Innere. Nichts. Ein Aufatmen! (tief durchatmen!)
Dann lauscht man ins Äussere, ob einen die mittlerweile virtualisierten Sinne trüben.
Doch nein, es klingelt nochmals.
Dieses Mal deutlich vehementer und in verkürzten Abständen, so als hätte es jemand nun wirklich eilig. «Is’ ja wohl nicht die einzige Person, wat?» Ein kurzer Blick auf die Teilnehmenden, die sich auf dem Bildschirm im «Skype for Business» ansammeln. Ein Blick auf die Laptop-Uhr. Man eilt zurück zur Tür. Den Gedanken «was is’ denn jetzt schon wieder?!» ersetzend durch den wohlmeinenden Ratschlag einer alten Freundin: «Tief durchatmen!». Sie ist mittlerweile Yogalehrerin. Sie muss es ja wissen.
Man späht durch den Gucker.
Vielleicht ist es ja jemand, dem man gar nicht erst die Tür öffnen muss. Ein Zeuge Jehovas zum Beispiel. Zum ersten Mal seit langer Zeit ein kurzes Stossgebet in Richtung Quarantäne-Homeoffice- und ehemaliger Wohnungsdecke, es möge ein Zeuge Jehovas sein. Das wäre echt mal ein Gottesgeschenk. Denn es wäre in Anbetracht der Umstände sozusagen strikt untersagt, die Türe auch nur einen Spalt weit zu öffnen. Schliesslich ist Social Distancing angesagt.
Doch der Blick durch den Späher zeigt: Es ist der Pizzaservice, der morgens um kurz nach 8 Uhr die Pizza «delivert», die seit gestern Abend auf sich warten lässt. Seit Corona sind die Lieferservices auf Wochen hinaus ausgebucht. Man kann sich glücklich schätzen, dass die Pizza überhaupt «delivert» wurde. Auch die Pizza wird in Ermangelung eines «Zeitbudgets» (wer hat denn diesen neoliberalen Begriff erfunden?!?! Den sollte man…) - (3x tief durchatmen!!) - neben der Post auf der Ablage deponiert.
Zurück zum Laptop.
Der Magen knurrt, selbst beim Anblick einer kalten Pizzaschachtel. Der Morgenkaffee aufgrund der morgendlichen Türsprints ist mittlerweile kalt. Positive-thinking-Zeitgenossen würden diesen leichten Anflug von Frustration jetzt als «frappuccino made at home(office)» mit einem lauten Jauchzer wegjubeln. (Vielleicht doch eine sogn. «Marktnische»?)
In den letzten Tagen hüstelte der ältere Mitbewohner unter hypochondrischem Zwang leicht vor sich hin, die Nachbarn – korrekterweise umgehend informiert – kriegten deswegen Panik, was dazu führte – endlich mal ein angenehmer Nebeneffekt (!) – dass sie im Stundentakt per WhatsApp «Homedelivery» anbieten – das nennt man echte Nachbarschaftshilfe. What else? (George Clooney lächelt mich aus der Gedanken-Cloud an; der Serotoninspiegel steigt, der Adrenalinspiegel auch; es ist schon 8.07 Uhr! - Und «Nein!!», ich stehe nicht auf George-Clooney-Typen. Nein. Definitiv. Kaffee ja. Clooney nein. Ende der Durchsage.)
Jetzt endlich kann es losgehen!
Während man im Modus eines professionellen Distance-Learning agiert und dabei gekonnt und gelassen in die Kamera lächelt und nebenbei noch technischen Support leistet, vibriert auf dem Küchentisch – der seit Wochen als Office-Ablage dient und mich und meine Mitbewohner dazu zwingt, im Schneidersitz auf dem Boden zu essen - seit 3 Minuten unablässlich das Handy und der ganze Tisch vibriert mit als wären wir in einer Disco in den 80ern.
Was wiederum dazu führt, dass die Videoaufnahmen während der Skype-Konferenz leicht verwackelt wirken…was wiederum - wenn man es mal ganz genau nimmt, eigentlich nur Vorteile hat -, da der Partner - ebenfalls zum Homeoffice verdammt - genau in dem Moment, als man die Skype-Konferenz morgens mit leichter Verspätung endlich hinkriegt - mit dem Handtuch um die Hüfte gewickelt aus der Badezimmertür kommt, der Aufmerksamkeit willen leicht hüstelt und sich erkundigt, wo sein mittlerweile schon erkalteter Kaffee wohl abgeblieben ist. (3x tief durchatmen! Corona sei Dank)
Was der Homeoffice-Partner nicht weiss: Dass man die Webcam just, aber wirklich just genau auf diesen Winkel der Wohnung eingestellt hatte, aus dem er soeben aus dem Nichts hervorgetreten ist.
Warum genau auf diesen Winkel der Wohnung? Schlicht und einfach, weil das bisher die einzige ruhige und noch nicht bewohnte Ecke in der einstmaligen gemütlichen und gastfreundlichen Wohnung war, die innerhalb einer Woche behelfsmässig zu einem Grossraumbüro inkl. Homeschooling umfunktioniert wurde. Genau dieser Aufnahmewinkel hätte eine störungsfreie Übermittlung gewährleisten sollen und hatte – in der Probe- und Vorbereitungsphase zu frühmorgendlicher Stunde für die heute stattfindende Skype-Konferenz ein noch durchaus passables und professionell anmutendes Hintergrundbild ergeben.
«Hatte». Eben. Alles ist vergänglich …
Während man nun, mittlerweile mit leichten Schweissperlen auf der Stirn, bemüht in die Kamera lächelt, huscht eines der Kinder vorbei, guckt, schaut weg, guckt wieder und fängt lauthals an zu lachen.
Das «Home-Schooling-Kind».
Egal. Man bzw. frau konzentriert sich auf ihre Arbeit. (Nochmals 3x tief durchatmen!)
Irgendwann, zu späterer Stunde, nachdem die Videokonferenz endlich erfolgreich vorbei ist, stellt man bei einem flüchtigen Blick in den Badezimmerspiegel fest, dass man noch Zahnpastareste im Mundwinkel hat und so die ganze Skype-Konferenz durchmoderiert hat. Je nu. Bildschirmdefekt. Immer noch besser als Pizzareste am Revers, oder?