Eine Eliteschule schwächelt in der Corona-Krise
Vorwort: Seit etwas mehr als drei Wochen ist der Präsenzunterricht eingestellt. Wie fällt eine erste Zwischenbilanz zum Unterricht von daheim aus? Ein anonymer Kommentar aus der Schülerschaft.
Eine Eliteschule schwächelt in der Coronakrise
Man hört in diesen Tagen oft, dass sich das wahre Gesicht einer Person erst in der Krise zeige. Das ist bei Institutionen nicht anders. Die Hohe Promenade ist eine erstklassige Bildungsinstitution und präsentiert sich auch gerne als solche. An Eröffnungsfeiern, Maturfeiern, aber auch im ganz alltäglichen Unterricht wird man als SchülerIn immer wieder darauf hingewiesen, wie glücklich man sich schätzen könne, in den Genuss einer solchen Bildung zu kommen. Die Hohe Promenade pflegt also ihren Ruf als Eliteschule sehr –doch wird sie diesem auch in der Krise gerecht?
Schauen wir uns zuerst einmal eine andere Schule an: Das Freie Gymnasium Zürich. In Friedenszeiten als Flaschendepot oder Freizeitgymnasium belächelt, scheut es in der Corona-Krise keinen Aufwand, um seinem Bildungsauftrag nach wie vor gerecht zu werden. Die Schulleitung steht in regem Austausch mit allen Schulangehörigen und informiert die SchülerInnen nicht nur, sondern zeigt sich auch als Ansprechpartner. Alle Lehrpersonen melden sich zu Beginn der stundenplanmässigen Lektionen bei ihren Schülern per Mail oder per Videokonferenz und sind während der Unterrichtszeiten jederzeit erreichbar, um Fragen zu klären. Wieso gerade das FGZ als Privatschule soviel Einsatz zeigt, ist nicht schwer zu erraten: Da die Eltern der Schulangehörigen direkt für die Schule bezahlen, ist das Interesse gross, diese Eltern nicht zu enttäuschen. Dies gilt letztendlich auch für die HoPro, die über Steuergelder finanziert wird. Im Krisenmanagement-Vergleich aber, anders als im ETH-Rating, fällt die Hohe Promenade weit hinter das FGZ zurück. Am Freien Gymnasium wird zum Beispiel laufend über die aktuelle Situation informiert, und die Schüler sind dazu angehalten, sich in Umfragen und Diskussionen mit den Klassenlehrern und der Schulleitung einzubringen, um den Fernunterricht den Bedürfnissen anzupassen und zu optimieren. An der Hohen Promenade hingegen beschränkt sich die Kommunikation auf ein absolutes Minimum, wobei die SchülerInnen keine Möglichkeit haben, Verbesserungsvorschläge anzubringen.
Der Freitag, der 13. März 2020, ist in der Tat ein unheilvoller Tag: Der Bundesrat kündigt an, dass der Präsenzunterricht an den Schulen eingestellt wird. Es wird jedoch von allen Seiten beteuert, dass die Schulen ihrem Bildungsauftrag nach wie vor nachkommen werden und sollen. Ein Wochenende vergeht in angespannter Erwartung weiterer Anweisungen. Arbeitsplätze werden eingerichtet, Pendenzen aufgearbeitet, Bleistifte gespitzt – und dann...
Am Dienstag, dem 17.3., landet ein E-Mail im Posteingang. Absender: die Schulleitung. Kommentarlos in den Anhang gepackt sind eine «Gebrauchsanweisung für HoPro zu Hause» und ein bepinselter Stundenplan, der scheinbar einem Colorcode unterliegt, über den uns allerdings niemand informiert. Allgemein ist die Gebrauchsanweisung, obwohl sie über eine anschauliche und literarisch über alle Zweifel erhabene Einleitung verfügt, eher nichtssagend. Klar geht aus diesem «von vielen klugen Köpfen» erarbeiteten Schriftstück lediglich hervor, was alles abgeschafft, nicht durchgeführt und ersatzlos gestrichen wird. In diese Kategorie fallen übrigens aus unerklärlichen Gründen auch die Freifächer, deren Durchführung scheinbar ein zu grosser Aufwand gewesen wäre. Das Schreiben enthält Lösungsansätze für die unteren Klassen, der Maturjahrgang bewegt sich aber nach wie vor in grosser Ungewissheit. Es kann sein, dass es für die Art und Weise, wie diese Gebrauchsanweisung konzipiert ist, gute Gründe gibt. Doch woher sollen wir diese denn wissen, wenn die Kommunikation auf ein Minimum beschränkt ist?
Da wir keine fixen Anhaltspunkte haben, ist alles, was uns bleibt, der Eindruck, den dieses E-Mail hinterlässt. Ernüchterung macht sich breit. Die Kommunikation auf allen Ebenen bleibt in den kommenden Wochen weiterhin ungenügend. Die versprochenen Informationen zu den Präferenzkursen (PKs), aber auch einfache Anweisungen zur spezifischen Durchführung des Unterrichts bleiben aus. Es scheint den Lehrpersonen weitgehend selbst überlassen zu sein, sich zu organisieren. Einige sind sehr engagiert und organisieren Videokonferenzen und versenden E-Mails – diesen Lehrern sind wir für ihren Einsatz sehr dankbar, es ist nämlich einzig und allein ihnen geschuldet, dass wir uns nicht völlig im Regen stehengelassen fühlen. Auf andere Lehrer müssen wir erst zugehen, und ihnen versichern, dass es uns wirklich lieber ist, wenn nicht sämtliche Struktur aufgehoben sei. Sie zeigen in der Regel Verständnis. Von wieder anderen haben wir nichts gehört. Es scheint, als wären viele Lehrpersonen der Meinung, wir würden uns darüber freuen, wenn wir so wenig Zeit wie möglich für die Schule aufwenden müssen. Tatsächlich ist es aber so, dass wir die Schule vermissen. Im Bewusstsein, dass wir uns an jenem Freitag den 13. vielleicht zum letzten Mal für lange Zeit gesehen haben, dass wir Maturanden vielleicht nie wieder zur Schule gehen werden, vermissen wir den Unterricht, fühlen uns allein gelassen und isoliert.
Seit fünfeinhalb Jahren wird uns eingetrichtert, dass die humanitäre Ausbildung zum mündigen Bürger das höchste Gut sei. Dass wir an einer Eliteschule seien und das Privileg hätten, erstklassige Bildung zu geniessen. Wir haben hart gearbeitet, waren stets bemüht, den hohen Anforderungen gerecht zu werden, auch wenn das manchmal schwierig war, weil wir an die Werte, die uns vermittelt wurden, geglaubt haben. Nun sitzen wir zu Hause, sozial isoliert, ohne Nachricht von der Institution, der wir ein Drittel unseres Lebens gewidmet haben.
Wir erwarten nichts Unmögliches, wir wissen, dass die Situation für alle Beteiligten schwierig ist, und dass wir realistisch bleiben müssen. Wir glauben aber, dass wir es uns verdient haben, dass man uns auf Augenhöhe begegnet und dass man mit uns kommuniziert. Wir möchten darauf vertrauen können, dass die Schule für unsere Bedürfnisse und Ängste Verständnis hat, und dass die Situation unter Kontrolle ist. Wir möchten uns gerade in dieser schwierigen Situation nicht noch mehr alleingelassen fühlen als ohnehin schon.
Ob sich die «Eliteschule» Hohe Promenade in dieser ausserordentlichen Situation beweisen kann, lässt sich noch nicht abschliessend entscheiden, da die Corona-Krise noch bei Weitem nicht überwunden ist. Eine erste Zwischenbilanz fällt allerdings ernüchternd aus.