Fit for Life

Fit for Life

Dieser Text entstand auf Anregung des «HoPrologs» vom Februar, der sich mit der Schule der Zukunft befasste. Er kann allerdings auch ohne Kenntnis des Semesterbriefs gelesen werden.

Mit einem doppelten Espresso in der Hand eilte Lidia gestresst in die Schule, als die schwere Eingangstüre sich plötzlich von innen öffnete. Der noch immer heisse Kaffee spritzte in Höchstgeschwindigkeit in alle Richtungen und landete auf Lidias weissem Kleid. Aus Schrecken liess sie alles, was sie in der Hand hatte, fallen und fiel sogar selber die Treppe runter. «So ein Mist! Das hat ja gerade noch gefehlt!» Genervt schaute Lidia auf ihr neues Kleid, das sie in den Sommerferien gekauft hatte und jetzt ruiniert war. «Die Schule zerstört einfach alles! Zuerst meinen Schlafrhythmus und jetzt auch noch mein Kleid. Was für eine Person öffnet die Türe auch so heftig?» Langsam richtete Lidia sich wieder auf und sammelte ihre Sachen ein. Eine stattliche Person stand plötzlich vor ihr. Es war der Rektor. Erschrocken bemerkte Lidia seinen bösen Blick und sah, dass er ebenfalls einen Kaffeefleck auf seinem Hemd hatte. Anstatt sich zu entschuldigen, rannte Lidia vor Angst in das Schulhaus und versuchte, auf der Toilette ihren Fleck wegzubringen. Als sie sich einigermassen beruhigt hatte, war es schon halb zehn. Da sie nicht mitten in die Mathematik-Stunde reinplatzen wollte, wartete sie bis zur nächsten Stunde, in der sie Geografie hatte. In der Zwischenzeit könnte sie doch an ihrem Webseiten-Projekt weiterarbeiten, dachte Lidia. Sie setzte sich auf eines der Sofas im ersten Stock der Schule und holte ihr iPad aus der Tasche. Lidia war eine gute Schülerin, doch viel Sozialkompetenz hatte sie nicht und war deshalb die meiste Zeit alleine oder mit ihrem guten Freund Ernesto, den sie schon fast ihr ganzes Leben lang kannte, unterwegs. Sie versuchte, fleissig an ihrem Projekt zu arbeiten, doch sie konnte den bösen Blick des Rektors nicht vergessen. Sie dachte, dass sie sich jetzt ihre ganze restliche Schulzeit vor ihm verstecken müsse. 

Endlich klingelten die Glocken und Lidia machte sich auf den Weg in den vierten Stock zum Geografiezimmer. Eigentlich mochte sie dieses Modul nicht besonders, doch um ihr Hauptmodul besuchen zu können, braucht sie ein gutes Verständnis in der Geografie. Einige andere Schüler kamen nach ihr ebenfalls ins Zimmer, doch es waren nicht viele. Zurzeit ging eine Grippe rum und die meisten Schüler arbeiteten von zu Hause aus mit. Lidias Mentor in der Geografie war ebenfalls krank und deshalb wurde die Klasse an jenem Tag von einem der Roboter unterrichtet. Als dieser das Zimmer betrat, schickte er die Schüler, die ihre Hausaufgaben nicht erledigt hatten, nach draussen, um sie zu erledigen. Den anderen gab er die Aufgabe, dort weiterzuarbeiten, wo sie das letzte Mal stehengeblieben waren. Lidias Kleid war immer noch nass und dreckig von ihrem unglücklichen Unfall am Morgen. Vom Fenster, wo sie sass, säuselte der Wind hinein und Lidia fing an zu frieren. Gerade, als sie das Fenster schliessen wollte, fing der Roboter an zu lachen. «Lidia, in welchem Jahr lebst du denn? Du weisst doch, dass unsere Fenster sich automatisch schliessen.» Die ganze Klasse fing an zu lachen und Lidia fühlte sich, als hätten es alle an diesem Tag auf sie abgesehen. Mit tränengefüllten Augen versuchte sie, ruhig weiterzuarbeiten. Eine Viertelstunde später unterbrach der Roboter die Klasse und holte die virtuellen Brillen hervor. Einmal im Monat durfte die Klasse die VR-Brillen benutzen, um eine perfekte Vorstellung der weltweiten Umweltbedingungen zu bekommen. Lidia zog ihre Brille an und tauchte in die Welt des Amazonasgebiets ein, doch wenige Sekunden später wurde alles schwarz. Lidias Brille hatte keine Batterie mehr.

Der Raum, wo sich die Ladekabel der Brillen befanden, lag in einem abgelegenen Gang, zu dem Schüler normalerweise keinen Zutritt hatten. Überraschenderweise genehmigte der Roboter Lidia jedoch den Zutritt. «Beeil dich», flüsterte er ihr zu, als er ihr die Zugangskarte überreichte. Lidia nahm die Karte und machte sich mit zügigem Schritt auf den Weg. Sie war schon immer neugierig gewesen, welches Geheimnis die Schule hier vor den Schülern aufbewahrte. Etliche Gerüchte wurden über den versperrten Gang verbreitet. Einer dieser Gerüchte war, dass Schüler, die nicht fleissig genug sind, an diesem Ort gefoltert würden, damit die Schule ihren guten Ruf nicht verlöre. Neulich meinte jemand sogar, wer diesen Gang betritt, würde nie wieder rauskommen. Obwohl Lidia diesen Gerüchten nicht glaubte, klopfte ihr Herz schneller als je zuvor. Über der Tür, die zum Gang führte, standen in grossen roten Buchstaben «Fit for life». Lidia öffnete die Tür mit der Zugangskarte und erreichte nach zwei weiteren Türen endlich den richtigen Raum. Bisher hatte sie nichts Ungewöhnliches gesehen, was sie etwas beruhigte. Die Ladekabel für die VR-Brillen lagen am anderen Ende des Raumes auf einem kleinen Schrank. Sie holte sich schnell eins und wollte sofort wieder gehen, doch etwas hielt sie auf. Sie hörte eine Stimme und konnte nicht festlegen, von wo sie kam. Sie blieb stehen und lauschte. Eine zweite Person fing an zu reden und Lidia bemerkte, dass die Stimmen von unten kamen. Als sie sich bückte, um genauer zuzuhören, sah sie eine Bodenklappe. Lidia bekam höllische Angst. Sie versuchte zu vergessen, was sie sah und wollte schnellstmöglich aus dem Zimmer verschwinden. Plötzlich fingen die Personen unten an zu jubeln und applaudieren. Lidias Neugier stieg von Sekunde zu Sekunde und sie entschied sich dafür, nachzusehen, was dort unten vor sich ging. Sie legte das Ladekabel auf die Seite und öffnete die Bodenklappe so langsam es ging. Durch den kleinen Spalt sah sie etwas sehr Merkwürdiges. Eine Art Helm, an dessen Oberfläche fünf verschiedene Kabel steckten, hing über einem Sessel. Jedes der Kabel war mit je einem Server verbunden. Was war das? Eine Person begann zu reden: «Dies, meine Damen und Herren, ist die neuste Erfindung für das Projekt «Fit for life». Es ermöglicht uns, Wissen direkt durch diese Kabel in das Gehirn eines Menschen zu transferieren und somit unsere Schüler schneller auszubilden.» Die anderen Personen applaudierten abermals und die sprechende Person fügte hinzu: «Ernesto, hol’ bitte die Testperson, damit wir unser Experiment durchführen können.» Lidias Atem blieb stehen und sie liess die Bodenklappe fallen. Wieso war Ernesto dort unten? War er ebenfalls in dem Projekt involviert? Schritte näherten sich und die Bodenklappe öffnete sich. Es war Ernesto. 

«Lidia? Lidia, was machst du denn hier? Du darfst hier gar nicht sein! Wie bist du überhaupt hier reingekommen?», fragte Ernesto verärgert. 

«Was ich hier tue? Die Frage ist doch, was du hier zu suchen hast? Du bist doch nicht an diesem verrückten Projekt beteiligt?» 

«Du hast gelauscht? Lidia, ich fasse es nicht! Dieses Projekt ist streng geheim und niemand darf davon erfahren.» 

«Du hast mich also angelogen! Du warst gar nicht krank, sondern hast all die Tage an diesem kranken Projekt gearbeitet. Wir kennen uns schon seit dem Kindergarten, Ernesto, du hättest es mir erzählen sollen.» 

Lidia war sehr enttäuscht und wollte einfach nur noch gehen. Ernesto packte sie am Arm und sagte: «Versteh doch. Das ist eine Riesenchance für mich und ich wollte sie nicht vermasseln. Du bist die Erste, die davon erfährt. Bitte sag es niemandem, Lidia. Wenn alles gut klappt, werden wir das Projekt nächste Woche veröffentlichen.» 

«Das ist doch unrealistisch! Wie sollte das denn je funktionieren? Ernesto, öffne mal deine Augen. Ihr könntet Leute mit diesem Helm verletzten!», rief Lidia beunruhigt. 

Ernesto schüttelte den Kopf und zischte: «Leute wie du halten unsere Entwicklung bloss zurück, weil ihr Angst vor Veränderungen habt. Lidia, das ist die Zukunft. Ob du es akzeptierst oder nicht, sie wird dich eines Tages auch einholen.» 

Ernesto verschwand aus dem Zimmer und Lidia blieb verdutzt stehen. Dieser Tag war zu viel für sie und sie machte sich auf den Weg an die frische Luft, um nachdenken zu können. Die alten Wandmalereien der Schule starrten sie an und sie begann zu rennen. Sie brauche einen Kaffee, dachte Lidia. Mit Schwung öffnete sie die Türe und ein Knall ertönte. Der Rektor lag regungslos am Boden.

Rezept: Frühlingssalat mit Spargeln, Hirse und Burrata

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