Züri brännt

Züri brännt


24. Dezember 1980

Zürich, eine Geisterstadt. Alle Läden haben die Storen hinunter gelassen, nur die grossen Einkaufszentren können den verspäteten Weihnachtseinkäufern etwas bieten. Doch auch von denen sind wenige unterwegs. Diese Totenstille hat jedoch keine Festlichkeit zugrunde, man schlendert nicht durch die winterlichen Strassen und denkt an alle Menschen, die zu Hause den Weihnachtsbaum schmücken. Nein, die Stadt hält gespannt den Atem. Jeder Jugendliche wird mit misstrauischen Augen betrachtet. Und diese Angst ist nicht unberechtigt. Ist  es doch in der letzten Zeit fast an jedem Wochenende zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei  gekommen. Alle erwarten, dass die Aktivisten vor so einem «spiessigen» Fest wie Weihnachten nicht Halt machen werden, vielmehr, dass es zu den schlimmsten Krawallen dieses Jahres kommen wird. Doch wo hat diese Angst angefangen?

Mai 1980 vor dem Opernhaus Zürich.

Etwa 200 Menschen versammeln sich vor dem Eingang des Opernhauses Zürich, einige liegen auf dem Boden. Die reichen Bürger sollten über diese «Kulturleichen» treten müssen, um die Vorstellung sehen zu können, dies der Sinn hinter der Aktion. Die Demonstrierenden fordern friedlich nach mehr Mittel und Raum für jugendliche und alternative Kultur. Sie finden es ungerecht, dass das Opernhaus voraussichtlich 60 Millionen Kredit bekommen würde, den Jugendlichen der Stadt aber immer wieder ein Jugendhaus verweigert wurde. Der Protest nähert sich schon dem Ende, da treten dreissig Polizisten in Kampfmontur aus dem Opernhaus. Es kommt zu immer grösseren Scharmützeln, bis um 23 Uhr die ersten Barrikaden am Bellevue stehen. Die Kämpfe mit Tränengas, Rauch und Scherben ziehen sich noch durch die ganze Nacht. Diese Nacht erwies sich als Auslöser für eine militante Protestbewegung, die im Ganzen beinahe zwei Jahre dauern würde.

Und alles, was die Jugendlichen wollten, war eine Art Jugendhaus, ein «Autonomes Jugendzentrum» (AJZ), in dem sie ihre Kultur ausleben und frei sein konnten. Eine kurze Zeit lang ging dieser Wunsch in Erfüllung. Es wurde ein AJZ in einer abbruchreifen Fabrik nahe dem Hauptbahnhof zur Verfügung gestellt und bald darauf unter massivem politischem Druck wieder geschlossen. Nach einer nicht endenden Serie von gewalttätigen Zusammenstössen wurde es im Frühjahr 1981 noch einmal geöffnet.

Doch auch dieser Versuch würde zunichte gehen. Das AJZ wird immer mehr zu einem Hort für Obdachlose, davongelaufene Jugendliche, Alkoholiker und Randständige und es gibt einen regelrechten Ansturm von Dealern und harten Drogen. Die Polizei lässt diesen sonst so verfolgten Kriminellen freien Lauf, man kann sogar sagen, dass sie die Drogenszene Richtung AJZ dirigiert.

Im März 1982 kommen schliesslich die Abbruchmänner und nehmen der Bewegung, schon lange in Resignation verfallen, ihren letzten Atemzug. Zurück bleiben viele enttäuschte Jugendliche, die das Ziel vor Augen verloren haben. 

Obwohl die Weihnacht 1980 trotz grossem Unbehagen friedlich verlief, waren bis Ende August 1981 insgesamt fast 4000 Personen verhaftet und rund 1000 Strafverfahren eingeleitet worden. Und warum geschah all dies?

Aus heutiger Sicht scheint die Forderung nach einem Jugendraum fast schon banal. Doch vielleicht kann man versuchen sich ein wenig in diese Menschen zu versetzen. 1980 gab es noch kaum Freizeitzentren und um 12 Uhr nachts ging die Polizei umher, um sicherzustellen, dass alle Restaurants geschlossen hatten und um die letzten Herumstreichenden nach Hause zu schicken. Die Meisten hatten sich jedoch schon früher auf den Weg gemacht, da ein Nachtzug auch eine neuere Erfindung ist.

Die Krawalle brachten nicht viel Gutes mit sich und der Konsum von harten Drogen stieg in der Zeit danach rasant an, aber ich denke, man kann sagen, dass das allgemeine Klima gegenüber Jugendlichen wärmer wurde und immer mehr Freiräume für Jugendliche bereitgestellt wurden. Also wirklich, was würden wir denn ohne Nachtzüge machen? 


 
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