Kurzgeschichte: «Das Weihnachtsgeschenk»
Die Weihnachtszeit, eine Zeit zum Schenken und Geben. Dies dachte sich auch Kilian und beschloss, seine Kollegin Tamara mit einem Geschenk zu überraschen. Sie schlenderten zusammen im festlichen Weihnachtsmarkt umher, als Kilian sie plötzlich aufforderte, kurz stehenzubleiben. Er holte ein Päckchen aus seiner Tasche und überreichte es ihr.
«Tamara, weil ich dich mag und weil du mir wichtig bist, habe ich dir ein Weihnachtsgeschenk gemacht.» Überrascht nahm sie das Päckchen entgegen.
«Danke, Kilian», entgegnete sie mit einem Lächeln und man konnte sehen, wie sie ein wenig rot wurde. Behutsam öffnete sie das Päckchen und als sie deren Inhalt sah, fiel ihr Lächeln augenblicklich. Was vorher Freude, Zuneigung, Wärme und vielleicht sogar ein wenig Liebe war, verwandelte sich nun in Verwirrung, Empörung, Ekel und sogar ein bisschen Wut. Im Päckchen erblickte sie einen Ultimativ-Unisex-Glas-Vibrator-3000 Deluxe-Edition in Form eines Weihnachtselfen. Kilian blickte sie erwartungsvoll an. Sie starrte zurück – und hätten Blicke töten können, er wäre tot umgefallen. Sie machte den Mund auf, mehrere Male, fand aber keine Worte. Schliesslich brachte sie ein kleinlautes und unsicheres «Wieso» hervor. Dann nochmal, diesmal aber stärker, selbstbestimmter und lauter:
«Wieso.»
«Wieso nicht.», kam es aus Kilian hervorgeschossen.
Sie stockte, wieder fand sie keine Worte mehr. So empört, so beleidigt war sie. Ungläubig starrte sie das Päckchen an. Sie konnte es immer noch nicht fassen.
«Hast du das wirklich bestellt, Kilian?», fragte sie ungläubig.
«Nein, ich bin in einem Laden gegangen und habe extra danach gefragt, ich habe gedacht, er passt zu dir»
«Wieso, Kilian!»
Dieses Mal schrie sie und knallte das Päckchen auf den Boden. Langsam dämmerte es Kilian, dass er vielleicht, eventuell, Tamara provoziert haben könnte. Trotzdem erwiderte er mit einem Lächeln:
«Wieso nicht?»
«Wieso schon?»
«Wieso ‹Wieso schon›?»
«Wieso nicht ‹Wieso schon›?»
Jetzt wurde auch Kilian langsam gereizt. Seine Stimme wurde entsprechend lauter und wütender, was Tamara wiederum provozierte, sodass sie auch lauter und wütender wurde. So begann ein Teufelskreis.
«Wieso ‹Wieso nicht wieso schon›?»
«Wieso ‹Wieso wieso nicht wieso schon›?»
«Wieso ‹Wieso wieso wieso nicht wieso schon›?»
«Wieso ‹Wieso wieso wieso wieso nicht wieso schon›?»
«Wieso ‹Wieso wieso wieso wieso wieso nicht wieso schon›?»
«Wieso ‹Wieso wieso wieso wieso wieso wieso nicht wieso schon›?»…
So schrien sie sich gegenseitig an, wie Wahnsinnige, inmitten eines festlichen Weihnachtsmarktes, bis ihre Stimmen so heiser wurden, dass sie nicht mehr reden konnten. Um sie herum hatte sich schon längst ein Kreis tuschelnder Schaulustiger gebildet, jeder einzelne sich und gegenseitig fragend: «Wieso schreien sich zwei Jugendliche gegenseitig so laut an? Wozu so viele ‹Wiesos›?» Ein neugieriger älterer Mann trat aus der Menge hervor, sich den zwei Jugendlichen vorsichtig nähernd. «Entschuldigung, dass ich störe, aber…», er hielt kurz inne, «Wieso streitet ihr überhaupt?»
«Wieso nicht?», antworteten beide zur gleichen Zeit mit heiserer Stimme und starrten den alten Mann böse an. Dann aber wurde ihnen plötzlich bewusst, was gerade passiert war. Sie blickten sich gegenseitig in die Augen, ihre Lippen sich zu einem herzhaften Lächeln formend.
Epilog
Kilian und Tamara verbrachten noch einen wunderbaren Weihnachtstag zusammen. Insbesondere freute sich Tamara, als Kilian sie auf der Eislaufbahn des Marktes zum Tanzen aufforderte. Später kehrten sie zum Platz zurück, denn sie hatten den Ultimativ-Unisex-Glas-Vibrator-3000 Deluxe-Edition in Form eines Weihnachtselfen dort vergessen. Obwohl sie jeden Winkel des Platzes absuchten, fanden sie ihn nicht mehr. Schliesslich, nach erfolglosen Stunden, als sie beide erschöpft auf den Boden sassen, lächelte Kilian Tamara schelmisch an. «Ich glaube, den Ultimativ-Unisex-Glas-Vibrator-3000 Deluxe-Edition brauchst du gar nicht mehr...»
Einen kurzen Moment war es still, dann lachte sie aber und sie umarmten sich.
Was mit dem alten Mann geschah? Man munkelt, er hätte den Weihnachtsmarkt mit einer verdächtig aussehenden Tasche verlassen. Auf seinem Gesicht ein vorfreudiges Lächeln. Er musste wohl seinen Abend sehr genossen haben.
Und den Lesern? Ihnen wünsche ich frohe Weihnachten!