A Flashlight's Perspective
von Marco Cousin
«Grüne Smoothies», flötete eine Schauspielerin. «Wer will einen grünen Smoothie?»
«Ist voll geil, sie hat eine Püriermaschine zuhause, mit 35 000 Umdrehungen in der Minute, damit kannst du alles zu Smoothies machen!»
Der zweite Schauspieler erklärt dem verwirrten dritten Schauspieler, der Drehbums sei nötig um jedes Gemüse von der Faser bis zur Zellstruktur hin aufzubrechen. 35 000 Umdrehungen, mein lieber Mann, denk ich mir. Kannste die Holzkiste, in der dein Salat geliefert wird, ja gleich mitpürieren. Da schaff ich mit meinen 1000 Watt geradezu erbärmlich wenig. So oder so übernehme ich eine wichtige Rolle in unserem Theaterstück. Ich bin der einzige Scheinwerfer, der nicht an der Wand oder von der Decke hängt oder womöglich auf einem Gestell steht. Ich bin frei. Ich stehe vor der Bühne und sorge im dritten Akt für geheimnisvolle Lagerfeuerstimmung sowie Verschwöreratmosphäre. «I bims der Zeenooooo!», kracht ein anderer Schauspieler mehr mit Müdigkeit gespickt als geschickt durch die Türe hinterm Vorhang. Heute ist Tag der Generalprobe. «Und de a-chilly-es ist och hia!». Mittlerweile befindet sich die Hälfte der Truppe auf der Bühne und wartet auf den Rest. Die sehen verkaterter aus als alle anderen Schauspieler, die ich in meiner langen Karriere je zuvor auf einer Bühne gesehen habe. Zugegeben, das diesjährige Stück ist auch sehr anspruchsvoll; gehobene Sprache, viele Metaphern und ein Gag-Level, das schwierig einzuhalten ist. Da wird sogar mir, obwohl ich schon fünf Durchläufe dieses Stücks gesehen habe, nie langweilig. Die Truppe ist vollständig, die beiden Regisseure sind auch da und pünktlich um 17 Minuten nach 9 beginnt das Aufwärmen. Dabei gilt es, den Brustkorb zu weiten, die Stimme anzuregen, den Körper wachzubekommen und natürlich auch die schauspielerischen Fähigkeiten wachzurütteln. Dazu gehören verschiedene Spiele, die teils die Reaktionsgeschwindigkeit eines Profisportlers bedingen. Unter anderem deswegen fallen fast immer zuerst alle Jungs raus. Nach dem Aufwärmen wird der Plan durchgegeben. Alle beherrschen den Text, somit müssen nur noch einzelne Szenen geprobt werden, wo bewegungsablauftechnisch noch etwas gefeilt werden muss oder weil das Regisseurteam noch etwas Zusätzliches ausprobieren möchte. Auch am Tag der Generalprobe, dem letzten Tag vor Beginn der Aufführungen herrscht eiserne Disziplin unter den Schauspielern. Zumindest unter einigen. Den wachen. Den wachen und konzentrierten. Sagen wir, sie sind ein gutes Team, das genau plant, wer wann schlafen kann. Denn das ist das grösste Problem jeder Truppe: Konstant als Truppe wach zu sein. Sieben Tage bis zu 15 Stunden an einem Stück zu arbeiten ist hart, nicht nur für mich. Auch mir wird ziemlich heiss, wenn ich zuerst eine Stunde für eine Probe des letzten Gesprächs zwischen Romulus und Julia, dann eine Stunde für das letzte Gespräch zwischen Romulus und Rea und zuletzt noch für den Rest des dritten Aktes leuchten muss. Da kann man mir eine Fünf-Minuten Lasagne auf den Kopf legen, die ist dann in zwei Minuten heiss. Zwei Stunden sind rum, der zweite Akt wird geprobt. Eine besondere Geduldsprobe, denn aufgrund der sich ewig wiederholenden, aber ständig auftauchend Sätze von Spurius Titus Mamma möchte man wirklich einschlafen. Es ist unglaublich schwer, sich diesem Verlangen zu entziehen, ist doch die Garderobe hinter dem Vorhang längst zum Massenschlag geworden. Theaterzeit wirbelt den Schlaf- und Wachrhythmus der Schauspieler dermassen durcheinander, dass sich manche, wenn sie einsam neben mir standen, tatsächlich laut gefragt haben, ob sie jetzt schlafen oder wach seien. Man könnte fast meinen, niemand sei mehr sicher in dieser Welt. Der zweite Akt ist geprobt, Mittagspause. Jeder Schauspieler hat seine eigene Art, sich kulinarisch zu verpflegen, Sandwiches, Essen von Zuhause oder gar Nudelsuppe aus Messbechern. Nach dem Mittagessen wird es Zeit, dem Stück den allerletzten Schliff zu geben: Eine weitere Kontrolle, ob nebst mir auch alle Scheinwerfer wirklich funktionieren, das Makeup wird sortiert und der Zeitplan für den Nachmittag angesetzt. Nebst einigen Einzelproben ist jetzt Schonzeit angesagt. Alles, was noch nicht sitzt, soll wenn möglich noch einmal durchgeübt werden, aber die Stimme muss geschont werden. Bis um spätestens 17:00 Uhr gilt dieses Konzept, dann beginnt der grosse Schmink- und Umziehmarathon. Davon bekomm ich, in der Aula, nichts wirklich mit, höchstens dass stets mit ohrenbetäubender Lautstärke nach dem Grundton 3W gesucht wird. So viel zur Schonung der Stimme.
Um 19:30 Uhr finden sich alle Schauspieler wieder auf der Bühne zusammen und das letzte Aufwärmen beginnt. Heute sind die ersten Gäste dabei, wenn auch inoffiziell.
Um 20:00 Uhr schliesslich geht’s los und ich geniesse wie fortan jeden Abend meinen Platz in der nullten Reihe. Heute geht fast alles glatt und als die Schauspieler um 22.30 Uhr schliesslich todmüde auf der Bühne sitzen, um die letzte Kritik zu erhalten, dauert diese auch nur fast eine Stunde. Aber ich sehe schon, dass sie sich die Kritik nicht zu hundert Prozent zu Herzen genommen haben. Denn jetzt geht es noch knappe zwanzig Stunden bis zur Premiere, dem wichtigsten Abend dieses römischen Reiches, gefusst auf Tanzboden. Auch ich hau’ mich auf mein Scheinwerferohr, denn wenn ich morgen ausfalle, geht womöglich das römische Imperium unter, und der vorderste schulische Scheinwerfer hat den Untergang seines Vaterlandes verschlafen.

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